"Wir fordern endlich eine zeitgemäße GOÄ"

Im Interview mit AÄA spricht Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt über den aktuellen Stand bei der GOÄneu, wie die BÄK weiter an einer baldigen Einführung arbeitet und wie Ärzte die Vergütungsdefizite der bestehenden GOÄ ausgleichen können.


Dr. Klaus Reinhardt ist seit 2019 Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) und wurde auf dem 127. Deutschen Ärztetag im Mai 2023 in seinem Amt bestätigt. Reinhardt ist Facharzt für Allgemeinmedizin und als Hausarzt in Bielefeld niedergelassen.


Herr Reinhardt, die Gebührenordnung für Ärzte wurde zuletzt vor 27 Jahren aktualisiert. Sie ist völlig veraltet, aber eine Neufassung wird vom Bundesgesundheitsminister nicht vorangetrieben. Warum?
Diese Frage müsste eigentlich der Bundesgesundheitsminister beantworten. Nach meiner Einschätzung kommen für die ausbleibende Novellierung nur politische Motive in Betracht. Denn rein sachlich muss es ja jedem einleuchten, dass eine Gebührenordnung nach mehr als zweieinhalb Jahrzehnten dringend an die medizinisch-fachlichen Fortschritt und an die Kostenentwicklung angepasst werden muss. Das hat sogar die Bundesregierung selbst in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage bestätigt. Außerdem wird die Novelle ja nicht nur von ärztlicher Seite, sondern auch von der privaten Krankenversicherung (PKV) gefordert. Und wir haben gemeinsam mit der PKV so weitgehende Vorarbeiten geleistet, dass es für den Verordnungsgeber eigentlich sehr einfach wäre, die Novelle umzusetzen. Deswegen habe ich den Bundesgesundheitsminister auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag noch einmal in aller Klarheit an seine Verantwortung in diesem Punkt erinnert. 
 
Mit der jetzt gültigen GOÄ können viele moderne Untersuchungs- und Behandlungsverfahren nur auf dem Umweg von Analogbewertungen berechnet werden. Das kann zu unnötigen Rechtsstreitigkeiten und viel Bürokratie führen. Was empfehlen Sie Ärzten in diesem Zusammenhang?

Der Verordnungsgeber lässt Ärztinnen und Ärzte mit diesem Problem allein und bürdet ihnen die Verantwortung für die Analogbewertungen auf. Ärztinnen und Ärzte müssen sich Zeit nehmen, ihren Patientinnen und Patienten das zu erklären – Zeit, die im Arzt-Patienten-Gespräch für andere Themen viel besser eingesetzt werden könnte. Als Hilfestellung gibt für eine ganze Reihe von häufigen Konstellationen Abrechnungsempfehlungen der Bundesärztekammer, die in einigen Fällen auch mit der PKV abgestimmt sind. Ärztinnen und Ärzte können sich zur Beratung auch an ihre Landesärztekammer wenden. Das kann aber natürlich kein Ersatz sein für die eigentlich erforderliche Anpassung der GOÄ an die medizinische Entwicklung der letzten Jahrzehnte.
 
Ärzte sollten künftig die Honorierung ihrer privatärztlich erbrachten Leistungen mithilfe von Steigerungsfaktoren und individuellen Honorarvereinbarungen an den aktuellen Stand der medizinischen Entwicklung anpassen. Diese Empfehlung für insbesondere zuwendungsintensive Leistungen haben Ende März die Bundesärztekammer, Ärzteverbände und Fachgesellschaften ausgesprochen. Verkompliziert das die Abrechnung?

Nein, es wird nicht komplizierter, denn die dabei eingesetzten Instrumente sieht die gültige GOÄ ja ohnehin vor. Viele Ärztinnen und Ärzte haben davon in der Vergangenheit allerdings nur wenig Gebrauch gemacht. Mit unseren Empfehlungen haben wir auf diese Möglichkeiten hingewiesen und Ärztinnen und Ärzten erläutert, wie sie rechtssicher vorgehen können. Zur richtigen Nutzung gehört allerdings auch die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten. Eine abweichende Honorarvereinbarung ist ja im persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient zu vereinbaren. Das muss nicht kompliziert sein, erfordert aber natürlich Zeit. Und wir müssen auch akzeptieren, dass nicht jeder Patient zu einer solchen Vereinbarung bereit und in der Lage ist. Insofern sind auch das nur Hilfsmaßnahmen und kein Ersatz für das, was wir zurecht vom Verordnungsgeber fordern: endlich eine zeitgemäße GOÄ.
 


Welche Konditionen erwarten Sie, wenn Sie mit uns abrechnen möchten? Mit Hilfe unseres Konditionsrechners können wir Ihnen unkompliziert Antworten geben.


 

Die Bundesärztekammer, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Beihilfe haben bereits umfangreiche Vorarbeiten für eine moderne, rechtssichere und transparente Gebührenordnung erarbeitet. Wie geht es jetzt weiter?
Sowohl das Leistungsverzeichnis als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise der neue Paragraphenteil der GOÄ, sind bereits seit Langem mit dem PKV-Verband sowie der Beihilfe konsentiert. Ärzteseitig haben wir auch die Gebühren nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben kalkuliert und dem Bundesgesundheitsminister übergeben. Dieser gesamte Aufwand wäre eigentlich Sache des Verordnungsgebers gewesen. Deswegen habe ich gar kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung nicht tätig wird. Trotzdem legen wir die Hände natürlich nicht in den Schoß. Wir haben die Auswirkungen der ärzteseitig kalkulierten Gebührenvorschläge in einer sogenannten Testphase anhand von konkreten Rechnungen erprobt und sind nun dabei, auch die Gebühren final mit dem PKV-Verband abzustimmen. Das ist natürlich nicht einfach, aber es hilft sehr, dass wir anhand von objektiven betriebswirtschaftlichen Maßstäben diskutieren können, für die zahlreiche Fachgesellschaften und Verbände die Grundlagen geliefert haben.
 
Geräteintensive Leistungen sollen in der neuen GOÄ abgewertet, die sprechende Medizin soll aufgewertet werden. Ist das nachvollziehbar?

Die Förderung der sprechenden und zuwendungsintensiven Medizin ist für Ärztinnen und Ärzte aller Fachgebiete in der Patientenversorgung wichtig. In unserem Vorschlag für eine neue GOÄ wird aber nichts willkürlich auf- oder abgewertet. Die Gebühren werden nach objektiven Maßstäben bestimmt. Gesprächsleistungen sind in der aktuellen GOÄ ganz besonders unterbewertet. Das Regelhonorar für eine gewöhnliche Beratung beträgt immer noch 10,72 Euro, wie vor über 20 Jahren. Gebührenordnungsziffern für besser vergütete Beratungen sind mit so vielen Ausschlussklauseln versehen, dass sie in den allermeisten Fällen gar nicht angesetzt werden können. Hier wollen wir ansetzen und alle Gesprächsleistungen zeitgetaktet und angemessen vergüten. Sofern technische Leistungskomponenten aufgrund der Kostenentwicklung, z.B. beim Labor, heute günstiger erbracht werden können als vor 27 Jahren, müssen wir das natürlich auch bei unseren Gebührenvorschlägen berücksichtigen, die allesamt auf einer betriebswirtschaftlichen Grundkalkulation beruhen.  
 
1996 wurde das Honorarvolumen um vier Prozent erhöht, seitdem hat sich nichts mehr getan. Wie ließen sich Kostensteigerungen jetzt und in Zukunft ausgleichen?

Wie auch bereits die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU bestätigt hat, bildet die derzeit gültige Fassung der GOÄ das aktuelle medizinische Leistungsgeschehen weder hinsichtlich der Leistungsbeschreibungen noch hinsichtlich der Bewertung der ärztlichen Leistungen adäquat ab. Diese Defizite lassen sich mit den in der bisherigen GOÄ enthaltenen Anpassungsmöglichkeiten (analoge Bewertung nicht in der GOÄ aufgeführter Leistungen, Möglichkeiten der Steigerung und abweichender Vereinbarung der Vergütung) nur in Teilen ausgleichen. Dadurch erhöht sich jedoch zunehmend auch das Risiko der Intransparenz und Streitanfälligkeit der Abrechnung privater Leistungen. Im Ergebnis lassen sich daher Kostensteigerungen nur durch eine neue und auf einer betriebswirtschaftliche Grundkalkulation beruhenden GOÄ ausgleichen. 

Das Interview führte Dirk Mewis.

 


Die Live-Webinare von AÄA vermitteln Ihnen wertvolles GOÄ-Praxiswissen rund um Faktorsteigerung, Analogabrechnung und Co. Jeder Termin richtet sich exklusiv an eine spezielle Facharztrichtung.

Zu den Terminen

Ärzte

T: 0711 99373-2100

F: 0711 99373-2130

kundenservice@apotheken-aerzte.de
Apotheken

T: 0711 99373-2050

F: 0711 99373-2055

service@apotheken-aerzte.de